Das Absolute vs. das Relative
Hub: 01_Hub_Das_Andere_Konzept
Verwandt: Die_Frau_als_das_Andere | Subjekt_vs_Objekt_Konstellation
Begriffliche Unterscheidung
Das Absolute (männlich konnotiert)
Definition: Das Unbedingte, Selbstständige, das als Maßstab und Norm für alles andere fungiert.
Charakteristika:
- Selbstreferentiell: Definiert sich aus sich selbst heraus
- Normativ: Setzt Maßstäbe für alle anderen
- Universal: Beansprucht allgemeine Gültigkeit
- Unbezweifelt: Wird nicht hinterfragt oder relativiert
Das Relative (weiblich zugeschrieben)
Definition: Das Bedingte, Abhängige, das nur in Beziehung zu anderem verstanden werden kann.
Charakteristika:
- Bezugsabhängig: Existiert nur in Relation zu anderem
- Normunterworfenheit: Wird nach fremden Maßstäben gemessen
- Partikular: Besitzt nur begrenzte, situative Gültigkeit
- Hinterfragbar: Ständig der Relativierung unterworfen
Beauvoirs Geschlechteranalyse
Der Mann als das Absolute
“Er ist das Subjekt, er ist das Absolute; sie ist das Andere.”
Historische Manifestationen:
- Politisch: Männer als natürliche Herrscher und Entscheidungsträger
- Religiös: Gott als männlich konzipiert, Priesteramt als männlich
- Wissenschaftlich: Männliche Rationalität als objektive Erkenntnisform
- Kulturell: Männliche Kultur als Hochkultur, “Kultur” schlechthin
Selbstverständlichkeit des Absoluten:
- Männliche Perspektive gilt als neutral und objektiv
- Männliche Erfahrung wird als universell-menschlich betrachtet
- Männliche Werte erscheinen als selbstevident
- Männliche Geschichte ist “die” Geschichte
Die Frau als das Relative
Strukturelle Abhängigkeit:
- Rechtlich: Lange Zeit rechtlich nur über Männer existierend
- Ökonomisch: Materielle Abhängigkeit von Vater oder Ehemann
- Sozial: Identität über Beziehungen zu Männern definiert
- Kulturell: Weibliche Kultur als Subkultur oder Nicht-Kultur
Ständige Bezugnahme:
- Frau wird immer in Relation zu Männern verstanden
- Eigenschaften werden komparativ definiert (schwächer, emotionaler, etc.)
- Leistungen werden an männlichen Maßstäben gemessen
- Selbstverständnis entwickelt sich über Fremdwahrnehmung
Mechanismen der Absolut-Relativ-Konstruktion
Sprachliche Verankerung
- Generisches Maskulinum: “Der Mensch” meint primär den Mann
- Markierung: Weibliche Formen als “besondere” Varianten
- Hierarchisierung: Männliche Begriffe als Oberkategorien
- Naturalisierung: Sprachliche Muster erscheinen als natürlich
Kategoriale Zuordnungen
- Vernunft vs. Gefühl: Absolute Rationalität vs. relative Emotionalität
- Kultur vs. Natur: Kulturschaffend vs. naturgebunden
- Geist vs. Körper: Geistige Erhabenheit vs. körperliche Begrenztheit
- Öffentlich vs. Privat: Gesellschaftsrelevant vs. hausbacken
Bewertungsasymmetrien
- Wertmaßstab: Männliche Eigenschaften als wertvoll gesetzt
- Defizitlogik: Weibliche Eigenschaften als Mangel interpretiert
- Kompensationsdenken: Weibliche “Vorzüge” als Ausgleich für “Nachteile”
- Komplementarität: Frauen als Ergänzung, nicht als Vollständigkeit
Auswirkungen der Relativ-Position
Psychologische Konsequenzen
- Identitätsunsicherheit: Schwankende Selbsteinschätzung
- Anerkennungsabhängigkeit: Bedürfnis nach äußerer Bestätigung
- Selbstzweifel: Hinterfragung der eigenen Urteile und Werte
- Anpassungsbereitschaft: Flexibilität als Überlebensstrategie
Soziale Auswirkungen
- Marginalisierung: Randständigkeit in gesellschaftlichen Diskursen
- Instrumentalisierung: Funktionalisierung für fremde Zwecke
- Stellvertretung: Andere sprechen für sie
- Unsichtbarkeit: Leistungen werden übersehen oder abgewertet
Existentielle Folgen
- Unauthentizität: Leben nach fremden Maßstäben
- Entfremdung: Authentizitaet_und_Selbstentfremdung
- Immanenz: Immanenz_vs_Transzendenz - Gefangensein in Bezüglichkeit
- Projektlosigkeit: Keine eigenständigen Lebensentwürfe
Kritik der Absolut-Relativ-Dichotomie
Existentialistische Einwände
Gegen ontologische Festschreibung:
- Absolute und relative Positionen sind nicht naturgegeben
- Geschichtliche Konstruktion kann geschichtlich verändert werden
- Existenz geht Essenz voraus - auch bei Geschlechterdifferenzen
Für reziproke Anerkennung:
- Echte Humanität erfordert wechselseitige Anerkennung
- Jeder Mensch ist sowohl absolut (als Individuum) als auch relativ (in Beziehungen)
- Gegenseitige_Anerkennung - Überwindung der Asymmetrie
Dekonstruktive Strategien
Relativierung des scheinbar Absoluten:
- Aufzeigen der Geschichtlichkeit männlicher “Absolutheit”
- Entlarvung männlicher Partikularitäten
- Kritik der vermeintlichen Universalität
Substantialisierung des scheinbar Relativen:
- Betonung weiblicher Eigenständigkeit und Eigenwertigkeit
- Entwicklung autonomer weiblicher Werte und Perspektiven
- Neue_Weiblichkeit - Jenseits der Relativität
Überwindungsstrategien
Dekonstruktion des Absoluten
- Kritische Analyse vermeintlich objektiver Maßstäbe
- Aufzeigen der Perspektivität aller Standpunkte
- Pluralisierung von Wahrheits- und Wertkonzepten
- Historisierung scheinbar ewiger Normen
Konstruktion neuer Absoluta
- Entwicklung eigenständiger weiblicher Wertesysteme
- Intellektuelle_Entwicklung - Bildung autonomer Urteilskraft
- Kreative_Selbstentfaltung - Schaffung eigener kultureller Ausdrucksformen
- Authentische_Existenz - Selbstbezüglichkeit statt Fremdbezüglichkeit
Verknüpfungen
Theoretische Grundlagen
- Die_Frau_als_das_Andere - Alterität als Relativität
- Subjekt_vs_Objekt_Konstellation - Subjekte setzen Absolute
- Othering_Prozesse - Mechanismen der Relativierung
Konkrete Manifestationen
- Biologischer_Determinismus_Kritik - Biologie als scheinbar Absolutes
- Ewige_Weiblichkeit_Mythos - Mythen der Relativierung
- Ehe_als_Institution - Rechtliche Relativierung
Befreiungsperspektiven
- Authentische_Existenz - Selbst-Absolutes werden
- Subjekt_werden - Überwindung der Relativposition
- Oekonomische_Unabhaengigkeit - Materielle Autonomie
Zeitgenössische Relevanz
Fortbestehende Muster
- Gender Pay Gap als Relativierung weiblicher Arbeit
- Mansplaining als Absolutsetzung männlichen Wissens
- Objektifizierung in Medien und Werbung
- Politische Unterrepräsentanz
Neue Entwicklungen
- Intersektionalität: Multiple Relativierungen
- Queere Kritik an binären Absolut-Relativ-Zuschreibungen
- Postkoloniale Analyse westlicher “Absolutheit”
- Dekonstruktive Philosophie und Kritik stabiler Identitäten
Zentrale Zitate
“Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern relativ zu sich.”
“Sie ist das Unwesentliche gegenüber dem Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das Absolute; sie ist das Andere.”
“Das Drama der Frau liegt darin, dass sie nur als das Relative existiert, während sie nach dem Absoluten strebt.”
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Tags: alteritaet asymmetrie norm relativitaet autonomie anerkennung dekonstruktion