Körper als Situation

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Grundkonzept: Biologischer_Determinismus_Kritik | Situiertheit_und_Freiheit

Beauvoirs Körperkonzept

Jenseits von Naturalismus und Kulturalismus

Dialektische Vermittlung: Der Körper ist weder reine Natur noch reine Kultur, sondern die konkrete Situation, in der sich Existenz vollzieht.

“Der Körper ist nicht ein Ding, sondern eine Situation: er ist unser Zugriff auf die Welt und der Entwurf unserer Projekte.”

Kernaspekte:

  • Materialität und Bedeutung: Körper hat physische Realität und kulturelle Interpretation
  • Instrument der Welterfahrung: Körper ermöglicht Wahrnehmung und Handlung
  • Projektionsfeld: Körper wird zum Träger von Entwürfen und Zielen
  • Wandlungsfähigkeit: Körper ist gestaltbar und veränderbar

Kritik dualistischer Konzepte

Gegen Geist-Körper-Spaltung:

  • Cartesianischer Dualismus: Körper als Maschine, Geist als Steuerung
  • Beauvoirs Einwand: Körper und Bewusstsein sind untrennbar verwoben
  • Embodied Existence: Denken und Fühlen sind immer körperlich situiert
  • Leibliche Intelligenz: Körper “weiß” und “kann” eigenständig

Geschlechtskörper als gelebte Erfahrung

Weibliche Körpererfahrung

Spezifische Dimensionen:

  • Menstruation: Zyklische Körpererfahrung und gesellschaftliche Tabuisierung
  • Schwangerschaft: Veränderung der Körpergrenzen und Selbstwahrnehmung
  • Sexualität: Zwischen Lust und Objektifizierung
  • Alterung: Gesellschaftliche Entwertung des “nicht mehr schönen” Körpers

Kulturelle Formung des Körpers

Doing Gender durch Körperpraxen:

  • Bewegungsformen: “Weibliche” Gestik als antrainierte Haltung
  • Raumverhalten: Beschränkte vs. ausgreifende Körperlichkeit
  • Stimme: Tonlage und Sprechweise als Geschlechtsmarker
  • Kleidung: Körperformung und -verhüllung nach Geschlechternormen

Objektifizierung und Selbst-Objektifizierung

Der internalisierte Blick:

  • Male Gaze: Betrachtung des eigenen Körpers aus männlicher Perspektive
  • Schönheitsideale: Disziplinierung des Körpers nach fremden Normen
  • Fragmentierung: Reduktion auf einzelne Körperteile
  • Selbstüberwachung: Ständige Kontrolle der körperlichen Erscheinung

Körper und Immanenz/Transzendenz

Körperliche Immanenz-Zuschreibungen

Immanenz_vs_Transzendenz - Biologistische Festlegungen:

  • Reproduktive Bestimmung: Körper als “Brutapparat”
  • Zyklische Naturgebundenheit: Menstruation als Beleg für Naturverhaftung
  • Emotionale Körperlichkeit: Gefühle als körperlich bedingt
  • Schwäche-Narrative: Körperliche Unterlegenheit als Rechtfertigung

Körperliche Transzendenz-Möglichkeiten

Überwindung der Reduktion:

  • Sport und Bewegung: Körper als Instrument der Selbstüberschreitung
  • Kreative Körperpraxis: Tanz, Theater als Ausdrucksform
  • Technische Erweiterung: Werkzeuge erweitern körperliche Möglichkeiten
  • Medizinische Intervention: Kontrolle über körperliche Prozesse

Reproduktive Körperlichkeit

Schwangerschaft als Grenzerfahrung

Reproduktive_Biologie_Analyse - Ambivalenz der Mutterschaft:

  • Körperliche Transformation: Veränderung der Körpergrenzen und -wahrnehmung
  • Zwischenexistenz: Weder nur Individuum noch nur Träger anderen Lebens
  • Kontrollverlust: Körper gehorcht nicht mehr vollständig dem Willen
  • Neue Möglichkeiten: Erfahrung schöpferischer Körperlichkeit

Menstruation zwischen Scham und Selbstaneignung

Kulturelle Deutungen:

  • Tabuisierung: Menstruation als “Unreinheit” und Schwäche
  • Medikalisierung: Pathologisierung natürlicher Körperprozesse
  • Emanzipatorische Umdeutung: Menstruation als Zeichen weiblicher Kraft
  • Normalisierung: Enttabuisierung und selbstverständlicher Umgang

Verhütung als Befreiung

Technologische Körperkontrolle:

  • Planbare Reproduktion: Trennung von Sexualität und Fortpflanzung
  • Lebensplanung: Kontrolle über reproduktive Entscheidungen
  • Berufliche Möglichkeiten: Karriere nicht mehr durch ungeplante Schwangerschaft bedroht
  • Partnerschaft: Sexualität jenseits reproduktiver Funktion

Ästhetisierung und Normierung

Schönheitsideale als Disziplinierung

Körperliche Selbstkontrolle:

  • Diäten und Fitness: Formung des Körpers nach Idealbildern
  • Kosmetik: Verschleierung “natürlicher” Körperlichkeit
  • Mode: Betonung oder Kaschierung körperlicher Eigenschaften
  • Chirurgie: Technische Körperveränderung

Widerstand und Selbstaneignung

Body Positivity und Körperakzeptanz:

  • Diversity: Anerkennung verschiedener Körperformen als schön
  • Funktionalität: Körper nach Leistung statt Aussehen bewerten
  • Selbstbestimmung: Eigene Maßstäbe für Körperlichkeit entwickeln
  • Kollektive Kritik: Gemeinsame Infragestellung von Schönheitsnormen

Körper und Technologie

Technologische Körpererweiterung

Cyborg-Perspektiven:

  • Medizinische Technik: Herzschrittmacher, Prothesen als Körperteile
  • Digitale Erweiterungen: Smartphones als externe Gedächtnisse
  • Reproduktionstechnologie: Künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft
  • Geschlechtsangleichung: Medizinische Veränderung von Geschlechtsmerkmalen

Grenzen von Natur und Kultur

Posthumane Perspektiven:

  • Konstruktivistische Sichtweise: Auch “Natur” ist kulturell vermittelt
  • Technologische Intervention: Veränderbarkeit scheinbar feststehender Eigenschaften
  • Fluid Boundaries: Fließende Grenzen zwischen Kategorien
  • New Materialism: Materie als aktiv und veränderlich

Verknüpfungen

Theoretische Grundlagen

Spezifische Aspekte

Gesellschaftliche Manifestationen

Zeitgenössische Entwicklungen

Neue Körperdiskurse

  • Body Positivity: Akzeptanz vielfältiger Körperformen
  • Disability Studies: Körper jenseits von Normalitätsvorstellungen
  • Trans-Bewegung*: Körper als veränderbar und selbstbestimmt
  • Intersex-Rechte: Kritik binärer Körperkonzepte

Digitale Körperlichkeit

  • Virtual Reality: Neue Formen körperlicher Erfahrung
  • Social Media: Inszenierung und Optimierung des Körperbildes
  • Biohacking: Technologische Selbstoptimierung
  • Künstliche Intelligenz: Fragen nach Körperlichkeit des Denkens

Medizinische Fortschritte

  • Präzisionsmedizin: Individualisierte Behandlung
  • Regenerative Medizin: Körperteile züchten und ersetzen
  • Gentherapie: Veränderung körperlicher Grundlagen
  • Reproduktionsmedizin: Neue Möglichkeiten der Familienplanung

Zentrale Zitate

“Der weibliche Körper ist einer der wesentlichen Elemente der Situation der Frau in der Welt. Aber er allein reicht nicht aus, um sie zu definieren.”

“Der Körper ist das Instrument unserer Weltergreifung; die Welt erscheint anders, je nachdem, wie sie von einem anderen Körper ergriffen wird.”

“Man muss den Körper nicht verleugnen, aber man darf sich auch nicht von ihm gefangen nehmen lassen.”


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Tags: koerper situation materialitaet bedeutung embodiment technologie selbstaneignung